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Süddeutsche Zeitung REPORT Samstag, 24. April 2004
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Der Laden mit Lupe

Die Generation der über 50-Jährigen wächst und ist kaufkräftig – Österreichs Handelskette Adeg buhlt deshalb mit speziellen Supermärkten um ältere Kunden

Von Andrea Rungg

Salzburg – Dieser Adeg ist anders. Anders als andere österreichische Adeg-Märkte. Anders als jeder andere Supermarkt. Beim Adeg in Bergheim im Salzburger Land können sich Kunden rechts, direkt am Eingang, den Blutdruck messen lassen. An den Ladenregalen baumeln an Ketten Lupen, durch die Etiketten und Preisschilder gleich viel größer sind. Und beim Obst und Gemüse steht eine Holzbank für müde Einkäufer. Die Kunden sollen sich wohlfühlen und eine Gruppe ganz besonders: die Generation 50plus, die so genannten Golden Ager, wie sie Werbeprofis bezeichnen.

Zwei Filialen führt die österreichische Handelskette Adeg unter dem Namen 50plus, eine in Bergheim und eine im Zentrum Wiens. Aber kein Kunde soll in den Läden das Gefühl bekommen, in einem Fachhandel für Senioren einzukaufen. Deshalb stehen hier Energie-Getränke und Alcopop-Mischgetränke griffbereit, und aus den Lautsprechern tönt leise ein Hit der britischen Popband Coldplay.

Manfred Schwall ist der geistige Vater von 50plus. Vor zwei Jahren hat sich der Geschäftsführer der Wiener Werbeagentur Haslinger & Keck mit dem Konzept bei Adeg, einer Tochter der Edeka-Gruppe, vorgestellt. Während er mit seiner Idee bei den Konkurrenten Spar und Rewe abblitzte, rannte er bei Adeg offene Türen ein. Entgegen allen Dogmen der Branche spricht Schwall bewusst das Alter von Kunden an. „Bei Adeg ist die Kundengruppe etwas älter, deshalb waren sie an dem Konzept sehr interessiert“, erzählt er.

Hinzu kommt: Nach der amtlichen Statistik Österreichs ist schon jeder dritte Bürger des Landes älter als 50, Tendenz steigend. Da schien es für Adeg nur plausibel, das Konzept von Schwall umzusetzen. Zusammen mit dem Unternehmen befragte Schwalls Agentur 450 Adeg-Kunden jenseits der 50 in ganz Österreich nach Einkaufsgewohnheiten und Erwartungen an Lebensmittelläden. Die Ergebnisse sind seit vergangenem Jahr im ersten 50plus Laden zu sehen. Deshalb gibt es die Holzbank zum Rasten, sehr breite Gänge oder etwa mehr Packungsformate für kleinere Haushalte.

Einkaufswagen zum Sitzen

Zufrieden sitzt Claus Mitterböck im kleinen Büro des Geschäfts. Zwar wollen an diesem Tag nur wenige Kunden einkaufen, aber das mag auch am nass-grauen Wetter liegen. „Wir haben seit der Eröffnung 20 Prozent mehr Umsatz als andere Filialen gemacht. Da haben sich unsere 15 Prozent Mehrinvestitionen allemal gelohnt“, sagt der Geschäftsführer von 122 Adeg-Filialen. Noch lieber redet Mitterböck von all den Vorzügen, die der 50plus-Laden bietet.

Da ist zum Beispiel der Spezialboden, mit dem Rutschpartien vor allem an nassen Tagen vermieden werden sollen. Am Eingang des Geschäfts ist das Licht gedämpft, damit sich die Augen schneller an das Neonlicht gewöhnen. Einige Einkaufswagen sind mit Bremsen ausgestattet. Wer sich eine Pause gönnen will, kann auf der Sitzfläche des Wagens Platz nehmen, die Räder blockieren dann sofort. Für Rollstuhlfahrer steht ein spezieller Einkaufswagen bereit, der sich am Rollstuhl befestigen lässt. Die Produkte sind mit großen Preisschildern ausgezeichnet, die Regale im Laden nach Mahlzeiten geordnet: Frühstück, Mittag- und Abendessen. Irren Kunden trotzdem suchend umher, vertraut Mitterböck auf seine Mitarbeiter.

Auch sie stehen für die Philosophie 50plus. „Sind Sie über 50, dann sind Sie für uns ideal“, warb Adeg in einer Stellenanzeige. „Wir glauben, dass ältere Mitarbeiter besser kommunizieren können, vor allem mit älteren Kunden“, sagt Mitterböck. Mittlerweile arbeiten 14 ältere Frauen in dem Salzburger Supermarkt. Fast alle waren vorher arbeitslos, nicht zuletzt wegen ihres Alters.

Das Geschäft mit der älteren Generation lohnt sich, nicht nur in Österreich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird 2010 bereits jeder zweite Konsument in Deutschland über 50 sein. Und dem Golden Ager geht es nicht schlecht: Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung hatte im Jahr 2000 der Durchschnittshaushalt von 50- bis 59-Jährigen 2100 Euro im Monat zur Verfügung. Den 60- bis 69-Jährigen blieben noch 1700 Euro. Auch die jüngste Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass besonders Rentnerpaare verglichen mit Familien mit Kindern unter 17 Jahren besser gestellt sind. Während Zwei-Personen-Rentnerhaushalte 2002 monatlich durchschnittlich 1700 Euro hatten, verfügte der durchschnittliche Familienhaushalt nur über 1500 Euro.

Für die Wirtschaft werden die älteren Konsumenten daher immer interessanterer, zumal die Hälfte der 50plus-Generation ein schönes Leben einem prallen Sparschwein vorzieht. Mittlerweile widmen sich Hotelketten und Reiseveranstalter den potenziellen Kunden ab 50. Magazine wie Best Life sprechen die Männer mit den silber-grauen Strähnen an. Und Unternehmen testen, ob Produkte wie Waschmaschinen oder Autos auch für Ältere bedienerfreundlich sind.

Trotzdem gibt es Experten wie Gundolf Meyer-Hentschel, die daran festhalten, das Kundenalter nicht anzusprechen. „Es ist sehr mutig, dass sie das Geschäft 50plus nennen“, sagt der Fachmann für Senioren-Marketing. Er rate Firmen jedoch, bei Produkten, die jung und alt ansprechen, nicht „den Nutzen für eine Gruppe besonders hervorzuheben und andere damit auszuschließen“.

Claus Mitterböck sorgt sich darum nicht. Nach seinen Erfahrungen hat in Bergheim das Etikett 50plus keinen abgeschreckt. Die eine Hälfte der Kunden sei eher jung, die andere alt. Und gemeinsam hätten sie den Umsatz gesteigert.


Bildunterschrift:

Regale mit Lupe: Im Supermarkt 50plus lassen sich Preisschilder auch ohne Brille lesen.

Foto: run

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