Handelsblatt Nr. 142 vom 26.07.04 Seite 7
DER POLITISCHE GASTKOMMENTAR
Dinosaurier stehen nicht für Zukunft
Vor gut einem halben Jahr hat der Bundeskanzler anlässlich eines Gesprächs mit Spitzenvertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die Innovationsoffensive der Bundesregierung und der Regierungskoalition eingeleitet. Die Initiative ist seit Jahren überfällig. Leider hatte der Start einen gravierenden Geburtsfehler. Anstatt Vertreter der zahlreichen innovativen mittelständischen und kleinen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die es auch in Deutschland zahlreich gibt und die heute weitgehend die Innovationsoffensive tragen, zum Gespräch einzuladen, waren ausschließlich Vertreter großer Konzerne, unflexibler Wissenschaftseinrichtungen und traditionsgebundener politischer Dinosaurierorganisationen zugegen. Allen voran die Pleitegeier des Konsortiums des Maut-Systems, das gerade die deutsche Wissenschafts- und Innovationslandschaft weltweit diskreditiert hatte.
Zahlreiche Mittelständler unseres noch immer hochinnovativen Maschinenbaus, der Produktionstechnik, der Robotik, der Messtechnik, der Software-Entwicklung oder der Logistik haben die Auswirkungen dieser Pleite ganz unmittelbar gespürt. Der Geburtsfehler wurde leider bis heute nicht behoben. Noch immer bestimmen weitgehend die wenig Innovativen die Diskussion und den vorwiegend in ausgetretenen Bahnen verlaufenden Dialog um die Finanzierung einiger spektakulärer Schlüsseltechnologien.
Deshalb sollte man sich darüber klar werden, unter welchen Leitzielen wir Innovationen in unserer Gesellschaft eigentlich brauchen und fördern sollten. Hier lässt sich sehr gut auf dem nationalen Nachhaltigkeitskonzept der Bundesregierung "Perspektiven für Deutschland" vom März 2003 aufbauen. Danach sollen Innovationsperspektiven in erster Linie der Sicherung von qualitativem Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Schonung der Naturressourcen, der Förderung von sozialer Gerechtigkeit und der Wahrung und Förderung von kultureller Kreativität und Vielfalt dienen.
Unter diesen Prämissen gibt es heute genügend Beispiele und Projekte in zahlreichen Unternehmen, Kommunen, halböffentlichen und öffentlichen Einrichtungen, die beweisen, dass ökonomische Gewinne mit ökologischen und sozialen Gewinnen vereinbar sind, ja sogar durch intelligente Win-Win- Strategien erst ermöglicht werden.
Solche Beispiele finden sich nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch in den skandinavischen Ländern, Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, der Schweiz und Österreich. Denn wir müssen, und das sollte doch jedem einleuchten, genau dort innovativ sein, wo die großen Probleme unserer Zivilisation liegen. Wir werden am ehesten zukunftsfähig bleiben, wenn wir mit Innovationen und Investitionen die Zerstörung der Umwelt und den rasanten Verbrauch von fossilen Energieressourcen verhindern.
Somit müssen unsere Innovationen, die Förderprogramme und die Anstrengungen von Wissenschaft, Unternehmen und Bildungseinrichtungen darauf konzentriert werden, die Technologieentwicklung zu nutzen, um Ressourcen zu schonen, nachwachsende Rohstoffe sowie energieeffiziente Produkte, Produktionsverfahren, Dienstleistungen und regenerative Energien (Solarenergie, Windkraftanlagen, Biomassenutzung, geothermische Kraftwerke, Wasserkraft) zu entwickeln. Besonders förderungswürdige innovative und wettbewerbsfähige Praxisbereiche sind auch: Kreislaufwirtschaft in Produktion und Distribution, das heißt Entwicklung und Förderung von Produktions-, Material- und Wasserkreisläufen sowie die Wieder- und Weiterverwendung von Wertstoffen und Hilfsstoffen.
Weiter geht es um die Entwicklung neuer produktbezogener Dienstleistungen und effizienter Logistik-Systeme in den Bereichen Produktion, Organisation, Distribution und Transport sowie neuer Dienstleistungen im Marketing und zur Kundenbetreuung. Hierfür ist in erster Linie die in Deutschland einzig zur Verfügung stehende Ressource "Wissen, Kreativität und Know-how-Entwicklung" zu mobilisieren. Gleiches gilt für den Bereich der effizienten Energietechniken und des rationellen Energieverbrauchs. Wir können heute ökologisch verträgliche Häuser errichten, die nur noch ein Zehntel der Energie verbrauchen wie unsere derzeitigen Häuser.
Unsere Intelligenz und die Innovationsförderung sollte auf innovative Baukonstruktionen und -organisation, neue umweltverträgliche Bau- und Werkstoffe und auf Materialeffizienz konzentriert werden. Besonders wettbewerbsfähige Produktions- und Dienstleistungsbereiche lassen sich durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik, Mikroelektronik, Nanotechniken und durch die Miniaturisierung des Einsatzes von Computern und drahtloser Funktechnik (Pervasive Computing) aufzeigen. Weitere Felder intelligenter, wissensbasierter Entwicklungen sind die Steuer- und Regelungstechnik, die Messtechnik, die Smart-Home-Technik oder der Einsatz der Telematik.
Die Bio- und Gentechnologie sollte vor allem auf die Bekämpfung von Zivilisationskrankheiten wie Multipler Sklerose, Alzheimer, Allergien, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs konzentriert werden.
Im Zuge der Entwicklung zur Wissens- und Freizeitgesellschaft - ein nicht umkehrbarer Basistrend moderner Gesellschaften - müssen vor allem neue Konzepte zur beruflichen Weiterqualifikation für alle Altersgruppen gefördert werden. Wir brauchen Innovatoren, die nicht gigantomanischen Technikfiktionen hinterherlaufen, sondern handfeste Probleme durch orientierende, selektive und vernetzte Wissenserarbeitung sowie durch soziale und kulturelle Kompetenz lösen.
Rolf Kreibich ist Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin.