'Die Vernunft wird vollkommen überschätzt'
"Menschen entschieden wirtschaftliche Fragen auch aus Faulheit, Gewohnheit oder Stolz. „Die Wirtschaftswissenschaft muss in dieser Hinsicht umdenken“, sagte der 75 Jahre alte Professor aus Bonn.
Seine Skepsis bei Appellen wie „Rente statt Urlaub“ erklärt Selten am Beispiel einer amerikanischen Firma. Als diese ein Rentenmodell anbot, unterschrieb keiner. Als der Rentenabzug automatisch erfolgte und nur bei Widerspruch unterblieb, machten die meisten mit. „Solche Dinge muss man beim staatlichen Handeln berücksichtigen“, sagte Selten. Seine Kollegen warnt er vor lebensfernen Theorien. „Es besteht die Tendenz, weniger auf die Wirklichkeit zu achten als auf die vorhandene Literatur“, mahnt Selten. Ihm gefiel, dass Bundespräsident Horst Köhler zum Tagungsauftakt eine am Menschen orientierte Ökonomie forderte.
Fragwürdig nennt Selten den Trend, alle Bereiche nur unter wirtschaftlichen Aspekten zu sehen. „Das ist, was man ökonomischen Imperialismus nennt“, sagte Selten. Der Mensch sei komplexer als die Annahme, er entscheide sich wohl informiert für seinen größtmöglichen Nutzen. Der 1994 mit dem Nobelpreis geehrte Forscher wünscht sich darum Zusammenarbeit mit Psychologen und Hirnforschern.", SZ, 21.08.06