„Er habe Lueger zum erstenmal 1908 in der Volkshalle des Rathauses sprechen gehört, erzählte H. später:
ich habe innerlich mit mir ringen müssen, ich wollte ihn hassen, aber ich konnte nicht anders,
ich mußte ihn doch bewundern, er besaß eine ganz große Rednergabe..
Lueger hatte ein großes Talent zur Selbstinszenierung. Er liebte öffentliche Auftritte als der schöne Karl mit der goldenen Bürgermeisterkette...
Da sie nun wegen ihrer Masse zunehmend den Ausgang der Wahlen bestimmten, mussten neue Wege gefunden werden,
um an diese Wähler heranzukommen, die sich den bisher üblichen Propagandamitteln entzogen.
Auf allen politischen Ebenen tauchte ein neuer Politikertyp auf, der Volkstribun...
Die neuen Politiker, die die Zeichen der Zeit früh erkannten wie Schönerer und Lueger, suchten den Kontakt mit dem Volk:
in Gasthäusern, Bierhallen, auf Marktplätzen, in den Betrieben. ..
Der Volkstribun Lueger hielt seine Reden gerne im Dialekt, stellte sich im geistigen Niveau auf seine Zuhörer ein,
machte alles Schwierige einfach, würzte seine Reden mit Witzen.
Und er tat das was die meisten Stimmen einbrachte: Er griff die Feinde seiner Wähler an, verstärkte ihre Antipathien,
nicht nur gegen Politiker, sondern auch gegen ... Minderheiten, 'die Reichen da oben', 'den Pöbel da unten' und die Fremden...
Er appellierte bewusst an Gefühle und Instinkte und eben nicht an die Vernunft und kritischen Verstand..
Hugo von Hoffmannsthal prägte in dieser Zeit das Wort:
Politik ist Magie. Welcher die Massen aufzurufen weiß, dem gehorchen sie.
So wirkten Luegers Reden auf die Zuhörer wie eine Massensuggestion.
Lueger habe nahezu übernatürlich seine Willensübertragung auf andere auszuüben vermocht...
Er, ein Gebildeter, ein Doktor, ein Advokat, zerfetzt die Ärzte, zerreißt die Advokaten,
beschimpft die Professoren, verspottet die Wissenschaft; er gibt alles preis, was die Menge einschüchtert und beengt...
und sie jauchzen, rasen, glauben das Zeitalter sei angebrochen, das da verheißen ward mit den Worten:
selig sind die Armen im Geiste. Er bestätigt die Wiener Unterschicht in all ihren Eigenschaften, in ihrer Bedürfnislosigkeit,
in ihrem Misstrauen gegen die Bildung... und sie rasen vor Wonne, wenn er zu ihnen spricht..."
aus B. Hamann Hitlers Wien