Heimat.
"Die Deutschen seien den Schweizern rhetorisch häufig überlegen. »Und das nutzen sie schamlos aus.« Das heiße aber noch lange nicht, »dass sie heller auf der Platte sind«. Oft töne es bloß besser. Alles in allem, resümiert Max, sei sein Verhältnis zu den Deutschen ambivalent. Patrizia ist promovierte Germanistin und arbeitet an der Universität ihrer Heimatstadt Zürich. Dazu muss man wissen, dass es an den Schweizer Hochschulen ziemlich viele deutsche Lehrkräfte gibt. In Zürich sind 134 der 445 Professorenstellen mit Deutschen besetzt, in St. Gallen mehr als die Hälfte. Patrizia sitzt in der Cafeteria ihres Instituts und ringt die Hände. Sie findet es »moralisch zutiefst verwerflich«, dass jemand mit ihrem Bildungshintergrund »zu solch doofen nationalistischen Reflexen fähig ist«. Die Reflexe bestehen beispielsweise darin, dass ihr »der Laden runtergeht, wenn eine Brillenschlange aus Berlin meint, sie müsse mir die Schweizer Literatur erklären«. Oder wenn im Tram ...ein Fahrer mit sächsischem Akzent >Bürkliplatz< sagt« ...
Viele Schweizer genießen es, den Deutschen ab und zu eins auf die Rübe zu hauen beziehungsweise ihnen die Insignien der Zuneigung zu verweigern. Dieser vor allem unter Deutschschweizern verbreitete Hang zum Sadismus beruht auch auf dem Gefühl der sprachlichen Unterlegenheit. »In der Gegenwart von Deutschen fühlen wir uns auf einmal im eigenen Land als Ausländer«, sagt die Zürcher Filmemacherin und Kolumnistin Güzin Kar... »Mit unseren tapsigen, manchmal unfreiwillig komischen Formulierungen stehen wir plötzlich den Tamilen und Albanern, über deren Deutsch wir uns so gern mokieren, viel näher, als uns lieb ist.« Letzteres ist natürlich maßlos übertrieben. Aber wir sehen ein: Eine wohltemperierte norddeutsche Stimme, die Vokale so klar artikuliert, als seien sie glitzernde Eiszapfen an einem strahlenden Wintermorgen, das hat was."
SZ-Magazin,060707