"Selbst wenn Kouchner berüchtigt ist für seine irrlichternden Meinungen – es steckt viel Wahrheit in den Worten.
Er benennt ein Übel, das einer kennenlernt, der sich täglich mit den Plagen der Welt herumschlägt, mit den Kriegen und Katastrophen,
den großen und ganz großen Ungerechtigkeiten, mit Hunger, Armut, Brutalität und Tod.
Da wird einer öffentlich zum Zyniker und sagt sich von seiner eigenen Lebensgeschichte los, weil er all das vermeintlich Gute nicht mehr erträgt.
All die Forderungen nach mehr Hilfe, nach Intervention, nach den Menschenrechten – Forderungen, die in Wahrheit so wirkungslos und schwach sind....
Muss nicht verzweifeln, wer diese Maßstäbe zur Pflicht sich macht? Frieden auf Erden – ist das nicht eine Wunschvorstellung,
die in der Menschheitsgeschichte niemals erfüllt wurde, eine Utopie?...
Gibt es so etwas wie eine Diktatur der Gutmenschen, die jede realistische Außenpolitik verhindern mit ihrem Übermaß an Forderungen,
an moralischem Übereifer? Das Gefühl der Bedrückung wird verstärkt, weil dies das Zeitalter der Gleichzeitigkeit ist...
Im Jahr 2008 ist das Leid globalisiert. Und so scheint auch die Verantwortung dafür alle zu treffen.
Das aber ist ein Irrglaube. Eine gefährliche Anmaßung gar. Ihr erliegen all jene, die bedingungslos fordern.
Denn die Globalisierung hat zwar die Universalität von Moral und Werten gefördert,
gleichzeitig ist es aber nicht leichter geworden, diese Standards durchzusetzen.
Das kann zu einem gefährlichen Überdruss führen.Ungleichheit, Armut, Ausbeutung, Unterdrückung, Entrechtung, Diskriminierung
– eine Kette des Leides zieht sich um die Welt, und der Chor der Mahner und Verbesserer wird immer lauter:
Tut doch was! Tut endlich was!
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich misst, dass er vergleicht...
Der Realist sucht die Mitte zwischen dem Utopisten und dem Zyniker.
Als Moralist scheitert man an dieser Welt. Für den Realisten besteht wenigstens noch Hoffnung", SZ, 27.12.08